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AutorenbildSimon Sonnenberg

Warum verteidigen wir das Geld?

Aktualisiert: 1. Juli

In diesem Blogbeitrag wird die Frage beantwortet warum wir eigentlich das Geld verteidigen wollen. Im Rahmen eines dynamischen Mailverlaufes haben wir gemeinsam wichtige Facetten gesammelt, die das Geld zu einer bewahrenden Kulturtechnik machen.


[Erster Beitrag in die Runde von Renate Börger und Simon Sonnenberg]

 

Geld regiert die Welt und verdirbt den Charakter, zumindest wenn man ihm sprichwörtlich folgen möchte. Warum es also verändern, reformieren und neudenken? Und es nicht einfach endlich abschaffen?


Eine Frage, die banal anmuten mag, jedoch letztlich nicht weniger ist, als das Denkgeländer an dem wir uns entlanghangeln. Eingangs einer Geldreform muss nicht nur klargestellt werden, warum die bestehende Gestaltung des Geldes fehlerhaft bis katastrophal ist, sondern auch warum das Geld als solches dennoch eine bewahrenswerte Idee ist. Eine Idee die heute pervertiert sein mag, aber unter ganz anderen Prämissen der Gesellschaft „dienen“ kann.


Eine komplette Abschaffung des Geldes hingegen mag in tauschorientierten und intensiven Beziehungsgeflechten durchaus teilweise funktionieren. Genau genommen ist es in einigen Bereichen des sozialen Lebens durchaus erstrebenswert, diese frei von Geld zu halten. In einer offenen, globalen und vernetzten Welt ist Geld als soziale Technologie aber zwingend notwendig. Unsere heutige komplexe Welt braucht dringend eine soziale Technologie, die uns frei und gleichberechtigt partizipieren lässt.


Denn Geld ist so viel mehr als ein Tauschmittel oder eine Verrechnungseinheit. Und größer als nur Wirtschaft. Es beeinflusst unser aller Leben auf vielschichtige Art und Weise. Dabei ist Geld eine Kulturtechnik, die unserem Zusammenleben Richtung und Rahmen gibt. Oder genauer gesagt, geben kann. Geld setzt Rahmenbedingungen, die weit über ökonomische Sphären hinausgehen. Es setzt Anreize für Kooperation oder Konkurrenz. Es bedeutet „Die Freiheit in der Tasche“ (Dostojewski) oder Schuldenlast.  Es transportiert gesellschaftliche Entscheidungen. Was ist „verdient“? Was ist uns was wert? Welchen Werten geben wir Vorrang? Es ist Kultur insofern, als darin gesellschaftlichen Vereinbarungen eine Gestalt gegeben wird. Es ist eine Technik insofern, als das Rechnen und Zählen, das Verrechnen und Vergleichen ein hilfreiches Mittel für den kulturellen Zweck ist und das Zusammenleben und den Handel- klug eingesetzt- erleichtert und weiterentwickelt.


Das Zusammenleben erleichtert es, wenn Teile meines Lebens anonym und sachlich bleiben können, auf der anderen Seite Teile meines Lebens bewusst frei gegeben und unverrechnet bleiben.


Geld ist als Kulturtechnik neu zu befragen: Wozu soll es dienen, wie entsteht es, wer erzeugt es und wie nutzen wir es? Wie regeln wir das Finanzsystem demokratisch und bringen es in Einklang mit unseren verfassten Werten, überwinden dabei Ausbeutung ebenso wie Maßlosigkeit. Unser Geld und der Finanzsektor sollte als öffentliche Infrastruktur verstanden werden, dem Gemeinwohl dienen und transparent demokratisch sein.

Demokratisch im Sinne einer neuen, integrativen Perspektive. Individuelle und kollektive Aufklärung einerseits und Demokratisierung von Institutionen und Prozessen gehören dazu.

 

 

 [Erste Antwort von Samirah Kenawi ]


Hallo zusammen,

zweifelsfrei soll ja darf Geld nicht alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen. Doch während kleine Gruppen geschenkwirtschaftlich organisiert sein können, wird ab einer gewissen Größe und Differenziertheit der Menschen Tauschwirtschaft notwendig. Die heutigen hochkomplexen Gesellschaften können den notwendigen Tauschhandel nur mittels eines Verrechnungsmittels (Geld) abwickeln. Immer wenn im Laufe der Geschichte existierender Geldsysteme versagten, kam es zu kulturellen Zusammenbrüchen. Ich halte Geld deshalb für eine notwendige Kulturtechnik, die wir allerdings endlich von ihrem Geburtsfehler befreien sollten. 

 

Diesen Geburtsfehler sehe ich in folgendem:

Als vor etwa 5000 Jahren mit den bronzenen Geräten nach und nach erste Formen von Geld entstanden, trat ein Problem in die Welt. Der Besitz von Geld wurde zur Voraussetzung für Handel. Geld, das als Tauschmittel von Hand zu Hand gehen soll, um den Warenaustausch zu erleichtern, muss zugleich von Kaufleuten vorgehalten, also aufgespeichert werden. Damit entstand ein Konflikt, der eine Ursache für die Ausbeutung von Menschen durch Menschen wurde. 

Geld hat sich im Laufe der Jahrtausende immer wieder verändert. Am gravierendsten war das Entstehen des Kreditgeldes vor etwa 600 Jahren. Bis heute befinden sich Geld und Geldsystem in ständigem Wandel. Doch der zentrale Konflikt dieses Tauschmittels (Zirkulationsmittels) – die Notwendigkeit, Geld im Vorfeld unternehmerischer Tätigkeit als Kapital akkumulieren zu müssen – wurde bisher nicht aus der Welt geschafft. 

 

 

 [Zweite Antwort von Klaus Simon ]

 

Liebe Renate, lieber Simon,

 

herzlichen Dank für Eure Gedanken und ja, natürlich ist es wichtig zu begründen, warum wir über Geld nachdenken wollen statt über Nichtgeld. In meiner Antwort kann ich mich Norbert anschließen. Wir wollen demokratische Prozesse. Menschen, die ohne Nutzung gesetzlicher Zahlungsmittel Leistungen anbieten möchten (Regiogeld, Commons, Zeitkonten, …), sollten das uneingeschränkt tun können. Diese geldfreien Bereiche in der Wirtschaft gibt es längst und sie sollten künftig breite Unterstützung erfahren. Solange aber daneben noch deutliche Mehrheiten an Geld und Markt festhalten wollen, sollten auch die das dürfen. Aus heutiger Sicht ist ein Ende dieser mehrheitlichen Vorliebe nicht abzusehen, und also müssen wir uns Gedanken machen über ein künftiges Geld, nicht über eine geldfreie Gesamtgesellschaft.

 

Das künftige Geld sollte zwar nach wie vor die elementaren Geldfunktionen ausüben und ansonsten aber inhaltlich so vereinbart sein, dass heutige Nachteile entfallen (dabei ist in erster Linie die Option zu nennen, durch das Überlassen von Geld zu mehr Geld zu gelangen). Diese künftige Vereinbarung – das gesellschaftliche Regelwerk zu Geld – ist es, die das Wesen des Geldes entscheidend bestimmt (so entscheidend, wie die derzeitigen Vereinbarungen das derzeitige Geld bestimmt). Es liegt an dieser Vereinbarung, aus einer Finanztechnologie eine soziale Technologie werden zu lassen. Die künftige Gesellschaft muss sich zu Geld einigen: Wozu soll es dienen, wie entsteht es, wer erzeugt es und wie nutzen wir es? Ja nach Ausgang dieser Vereinbarung kann Geld tatsächlich eine Kulturtechnik werden, die anders als heute den Namen Kultur verdient.

 

Dass man mit Geld sehr hilfreich vergleichen und verrechnen sowie Werte aufbewahren kann, bedeutet doch nicht, dass man alles vergleichen und verrechnen oder endlos anhäufen muss. Der Unterscheid zwischen Medikament und Gift ist kein grundsätzlicher, sondern eine Frage der Dosis! Und freilich: Geld bedeutet immer Macht; im elementaren Fall ermächtigte es mich, ein Gut zu erwerben. Ich wollte mich nicht gegen diese Macht wenden, sondern gegen den Machtmissbrauch (z.B. infolge unbeschränkter Anhäufung von Geld) – aber da sind wir wieder beim zu vereinbarenden Regelwerk.

 


 [Dritte Antwort von Norbert Bernholt]


Lieber Simon, liebe Renate,

vielen Dank für Eure Anregung. Zu Beginn meines Buches über ein solidarisches Geldsystem gehe ich ja recht ausführlich auf Eure Frage ein. Denn Geld ist natürlich weitaus mehr als ein unschuldiges Tauschmittel. Geld trägt immer – auch in einer solidarischen Gesellschaft – die Gefahr in sich, als Machtinstrument gebraucht oder eher missbraucht zu werden. Vielleicht könnte die Welt ein Stück besser sein, wenn es kein Geld gäbe. Entsprechend gibt es ja durchaus die Forderung eine geldfreie Gesellschaft anzustreben (vgl. etwa Frederike Habermann). Diese Frage stellt sich aber aus meiner Sicht derzeit überhaupt nicht. Wir sind noch längst nicht so weit, sondern müssen erstmal sehen, dass wir ein Geld- und Finanzsystem aufbauen, das wirklich dazu beiträgt das Lebens auf unserem Planeten zu erhalten und lebenswert zu machen. Derzeit kommt die Forderung „Geld abzuschaffen“ etwa der Forderung gleich „ Tagsüber die Sonne scheinen zu lassen und es nachts zwischen zwei und vier Uhr regnen zu lassen“. Eine arbeitsteilige, globale Wirtschaft mag vielleicht irgendwann einmal funktionieren, sie ist derzeit aber absolute Utopie, die uns zur Lösung der derzeitigen Probleme in keiner Weise hilft. Wir müssen step by step denken und unsere Schritte sind schon sehr sehr groß!

In meinem Buch zeige ich dennoch Wege auf, geldfreie Bereiche in der Wirtschaft zu schaffen, in dem ich relativ ausführlich auf die Commons-Bewegung eingehe. Wirtschaften vollzieht sich hier weitgehend geldfrei über Absprachen und Vereinbarungen. Lasst uns doch erstmal damit anfangen, diese Pflänzchen zu kultivieren, sie größer werden zu lassen, Erfahrungen zu sammeln, um dann zu sehen, was sich aus diesen Erfahrungen ergibt.

Ein allgemeine Diskussion über eine sehr ferne Vision mag Spaß machen, sie ändert aber nichts an der Realität. Wir müssen die Welt jetzt ändern – und zwar  zügig und dass ist harte Knochenarbeit.

 

 

  

Im Diskurs über die Zukunft des Geldes und seiner Bedeutung in unserer Gesellschaft stoßen wir auf komplexe Fragen und facettenreiche Ansichten. Geld ist zweifellos ein mächtiges Instrument, das nicht nur als Tauschmittel dient, sondern auch unseren sozialen Zusammenhalt, unsere Machtstrukturen und unser individuelles Wohlbefinden beeinflusst. Die Idee, Geld abzuschaffen, mag in kleineren, eng vernetzten Gemeinschaften funktionieren, jedoch stellt sich in einer globalen Welt eine fundamentale Herausforderung: Wie können wir eine gerechte, demokratische und nachhaltige Nutzung des Geldes gewährleisten?

Geld als soziale Technologie eröffnet uns Chancen, aber es birgt auch Risiken. Es kann Machtmissbrauch fördern und soziale Ungleichheiten verstärken. Die Forderung nach einer geldfreien Gesellschaft ist zwar reizvoll, aber in der gegenwärtigen Realität nicht umsetzbar. Stattdessen sollten wir darüber nachdenken, wie wir das Geldsystem reformieren können, um es demokratischer und transparenter zu gestalten.


Eine mögliche Lösung liegt in der Schaffung einer neuen, integrativen Perspektive auf das Geld. Dies erfordert nicht nur individuelle und kollektive Aufklärung, sondern auch die Demokratisierung von Institutionen und Prozessen. Es bedeutet, Geld als öffentliche Infrastruktur zu verstehen, die dem Gemeinwohl dient und transparenten demokratischen Prinzipien unterliegt. Die Diskussion über eine gerechte Verteilung von Ressourcen und die Überwindung von Ausbeutung und Maßlosigkeit sollte im Mittelpunkt stehen.


Es ist wichtig, die bestehenden geldfreien Bereiche in der Wirtschaft zu unterstützen und auszubauen, während gleichzeitig innovative Ansätze erforscht werden, um das Geldsystem fairer und nachhaltiger zu gestalten. Wir sollten die kleinen Schritte wertschätzen, die bereits unternommen werden, um eine gerechtere Wirtschaft zu schaffen, und gleichzeitig weiterhin mutige Visionen für eine bessere Zukunft entwickeln.


In dieser kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem Geld und seiner Rolle in unserer Gesellschaft liegt die Möglichkeit, eine soziale Technologie zu schaffen, die wirklich dem Wohl aller dient. Es erfordert Engagement, Offenheit und den Willen, die aktuellen Strukturen zu hinterfragen und zu verbessern. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir eine Welt schaffen, in der Geld nicht mehr zur Ausbeutung, sondern zum Wohlstand für alle dient.

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